Erfindergeist
Kai Apel destilliert den Lüneburger Luna Gin
Dieser Artikel erschien in der PRISE und wurde verfasst von Cécile Amend.
Es ist einer dieser Tage mit Überraschungseffekt. Eigentlich müsste Sabina Gade ja daran gewöhnt sein, mit einem Daniel Düsentrieb von Mann im Haus und einem Sohn, der aus demselben Holz geschnitzt ist. Trotzdem verschlägt es ihr die Sprache, als sie aus ihrem Tanzurlaub in Spanien zurück nach Lüneburg kommt und die Küche betritt. Jede Menge halb volle Kornflaschen und Gläser auf dem Tisch, Mann und Sohn hängen mit einem seltsamen Gerät mit vielen Schläuchen über der Spüle, Dampf wabert durch den Raum.
„O Gott, was ist denn hier los?" "Der Gin schmeckt mir nicht, ich mache jetzt meinen eigenen." „Aha." Das war im Juli 2017. Heute, knapp zwei Jahre später, wird der destillierte „Luna Gin" von Kai Apel in vielen Lüneburger Lokalen ausgeschenkt, er ist in Supermärkten und online im Handel. Rund 2200 Flaschen sind verkauft. Aus der Schnapsidee ist ein florierendes Geschäft geworden.
Was nicht passt, wird passig gemacht, ist eine Devise, die sich durch Apels ganzes Tun zieht. Im Hauptberuf Tischler und Heizungsbauer im Helmholtz-Zentrum Geesthacht ist der 52-jährige unkonventionelle Typ mit Ohrring und langem Zopf in seiner Freizeit leidenschaftlicher Bastler. Das Haus der Familie, Baujahr 1964, hat er selbst entkernt und saniert und mit seiner eigenen Handschrift versehen - vom auf einer spanischen Straße gefundenen Briefkasten über die selbstgemachte Zeitungsrolle bis hin zur liebevoll ausgearbeiteten Terrasse. Als der Lüneburger die Baugenehmigung für sein Carport nicht bekam, dies aber schon fertig war, baute er es kurzerhand um zur Sauna. Über dem Auto hängt jetzt ein schwarzes Sonnensegel an Stahlstangen.
Ähnlich war es mit dem Gin. Apels Kumpel, Huw Hamilton, Wirt vom Tír na nÓg Irish Pub, und Sasan Khojandi, Inhaber der 0,75 - Winebar und Eatery, und andere Freunde trinken gerne Gin. Aber Apel kann mit dem am Markt erhältlichen Sorten nicht recht warm werden. Gin Sul beispielsweise: „Geht, aber zu viel Rosmarin", sagt Apel. Tanqueray: „Geht, aber nicht geil." Er hat probiert und probiert, aber einfach nie den richtigen für sich gefunden und ist meist glücklicher mit einem Bier. „Viele Gins kann man mal trinken, aber bei den meisten ist mir der Wacholder zu dominant auf der Zunge, den wird man dann nicht wieder los", findet Apel. Dennoch ist er fasziniert von dem Getränk, von der Vielfalt an möglichen Geschmacksrichtungen, die durch die Zugabe von sogenannten Botanicals erzielt werden - Beeren, Samen, Früchte, Gewürze, Kräuter, Rinden, Fruchtschalen und Wurzeln.
Klassischer Gin wird vor allem mit Wacholder und etwas Koriander gewürzt. Die hippen Varianten, die in den vergangenen Jahren so gehypt wurden, kommen mit Mandel, Minze, Piment, Pomelo, Orange, Zitrone, Akazie, Salbei, Lakritz, Ingwer, Jasmin, Rose, Eisenkraut, Muskatnuss und und und daher. Oft bis zur Unkenntlichkeit überladen. Die Webseite www.gintlemen.com listet allein 151 Kräuter auf, 87 Früchte, 35 Samen und Körner, 25 Wurzeln und Rinden.
„Es muss doch möglich sein, einen Gin herzustellen, der genau meinem Geschmack entspricht", befindet Apel, ersteigert sich eine Kupferdestille für den Hausgebrauch, liest ein paar Fachbücher und jede Menge Zutatenlisten auf Gin-Etiketten und startet seine Versuche. „Damals durfte man das noch", warnt der Erfinder PRISE-Leser vor dem Nachmachen, „heute nicht mehr". Bis 2018 durften Deutsche zu Hause in Kleindestillen mit weniger als 500 Millilitern Fassungsvermögen Schnaps selbst brennen. Im Januar 2018 wurde das historische Branntweinmonopolgesetz von vom EU-konformen Alkoholsteuergesetz abgelöst. Seither ist die Alkoholgewinnung durch Destillation nur noch in Verschluss- oder Abfindungsbrennereien erlaubt.
Im Juli 2017 also experimentiert Kai Apel in seiner Küche, wirft nach Gefühl Wacholderbeeren, Limonen, Zitronengras, Orangen- und Gurkenschalen, Basilikum und Holunderblüten in den Zylinder seiner Destille, der sogenannten Kolonne, durch den der Alkohol aus dem Kessel beim Verdampfen aufsteigt und die Öle und Geschmacksstoffe der Botanicals mitnimmt. In der ersten Reihe macht Apel vier Versuche - und schon der erste haut ihn um. „Der erste Schluck war unfassbar genial. Boah, war das geil", erinnert sich der Hobbybrenner, „jede einzelne Geschmacksnuance war zu erkennen. Ich hatte extra wenige Botanicals hineingegeben, damit man jedes schmeckt. Erst kamen die Zitrusnoten durch, dann Wacholder und zum Schluss, ganz verflüchtigt, Gurke und Basilikum. Und am Ende war alles weg - kein Nachgeschmack." Die Nagelprobe läuft dann mit den Kennern in seinem Freundeskreis und Apel erhält Lob aus berufenem Munde: „Huw und Sasan waren überzeugt von meinem Gin und haben mir beide geraten, mehr daraus zu machen."
Der Rest ist schnell erzählt. Apel sucht sich eine Flaschenfabrik und einen Produzenten, die Spirituosenfabrik Heinz Eggert in Bad Bevensen, die sein Destillat nachbrennen soll. Anfangs klappt das nicht so gut. Die erste Probe, die Apel per Post zugeschickt bekommt, habe wenig zu tun gehabt mit seinem Original. „Nach der vierten Probe hatte ich das Gefühl, jetzt haben die mich verstanden. Die fünfte war super."
Unterdessen überlegte sich Apel die Aufmachung. Über das Design stolperte er bei einem Spaziergang durch die Stadt: Mondgöttin Luna vom Marktplatzbrunnen wird Namenspatin, das Mons-Pons-Fons-Logo fällt ihm auf einem Gullideckel ins Auge. Er lässt 800 Steingutflaschen abfüllen, geht im Herbst 2017 damit auf Kneipentour und stößt allerorten auf Begeisterung - nur nicht immer bei seiner Frau: „Ich musste ja viel probieren, kam öfter betrunken nach Hause", erinnert sich Apel mit einem Augenzwinkern.
Heute hält die Weinhandlung Wabnitz die regionalen Vertriebsrechte am „Luna Gin", Apel selbst kümmert sich um überregionale Abnehmer. 2200 Flaschen in gut anderthalb Jahren - ein beachtlicher Erfolg bei weltweit an die 6000 und bundesweit rund 840 Ginsorten im Angebot. Einer, mit dem Apel aber von Anfang an gerechnet hat: „Beim ersten Schluck war mir gleich klar, das kann was Großes werden", sagt er und schenkt mir in seinem Garten eine Kostprobe ein. Erst pur, danach mit Tonic. „Hmmmm, lecker! Hmmmmm. Ja!" „Sehen Sie", sagt Apel und grinst, "und genau das ist das Problem."